(Eine biographische Erinnerung an den antikommunistischen Widerstand in der Tschechoslowakei)
Einige Jahre später wird er einen Abschiedsbrief aus dem Gefängnis Pankrác schreiben. (Hochzeitsfoto von Václav Švéda und Ludmila Švédová geb. Kasparides, 1946)
Die Menschen, um die es hier geht, sind Helden. Und ihre Geschichte scheint von einem erfahrenen Bestsellerautor geschrieben worden zu sein: Liebe und Mut, der Kampf zwischen Gut und Böse, Gewalt, Blut und schließlich der grausame Tod. Wie in einem Action-Blockbuster. Aber das Leben der Familie von Václav Švéda ist kein Film. Alles begann im mährischen Dorf Pivín.
Herbstnachmittag in einem Dorf in Haná [1]. Ein Mann im Overall steht im Hinterhof vor einer kleinen Halle, aus der das Schlagen von Hämmern und das Kreischen einer Fräse zu hören sind. Dieser stämmige Typ mit leuchtenden Augen und längeren blonden Haaren ist der alleinige Chef des Švéda-Schlossergeschäfts. Niemand würde vermuten, dass er in den Sechzigern ist. Neben seinen Söhnen, ebenfalls Schmiede und Schlosser, hat er noch eine Tochter. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr, als er seine Heimat verließ, um zu lernen, bearbeitet er Eisen. Nach Jahrzehnten bei den sozialistischen Eisenwerken Hanna in Prostějov (Proßnitz) machte er sich selbstständig.
Es klingt schrecklich, aber nach 1989 kamen Radslav Švéda die 100.000 Tschechische Kronen, die er als Entschädigung für seinen hingerichteten Vater erhielt, zugute, um das Unternehmen zu gründen. Sein Vater Václav wurde von den Kommunisten verurteilt, und der Henker brach ihm das Genick.
Und vielleicht klingt es etwas schrecklicher, dass Radslav und seine Schwester Lída (Grundform Ludmila [2]) für ihre Mutter Ludmila, die 10 Jahre im Gefängnis saß und 1991 starb, noch mehr bekamen, ganze 280.000 Kronen. Schade, dass die Leute neidisch waren, sagt Radslavs Schwester.
In der Tat hat er keinen Zweifel daran, dass es in der Region Menschen gibt, die sich daran reiben, dass das Unternehmen mit dem Namen eines hingerichteten antikommunistischen Widerstandskämpfers prosperiert. Václav Švéda gehörte zur Gruppe der Mašín-Brüder. Und es ist bekannt, dass diese Widerstandskämpfer in unserem Land und im benachbarten Deutschland den Tod von Polizisten und Milizionären auf dem Kerbholz haben. Die Mašín-Gruppe hat wirklich gekämpft, und das ist für viele immer noch ein unverdaulicher Brocken. Aber für die letzte Švéda-Generation, Radslavs Söhne Viktor und Radek (Grundform: Radslav), ist es normal zu wissen, dass es in Böhmen Männer gab, die sich mit Waffen in der Hand den Kommunisten widersetzten. Mut hatte er wie kaum ein anderer, sagt der ältere Radek mit einem nicht zu verwundernden Stolz über seinen Großvater. In seinen dreißig Lebensjahren gelang es Václav Švéda, den Nazis Widerstand zu leisten, drei Jahre ihrer Gefangenschaft zu überstehen und dann einen fünfjährigen Freiheitskrieg mit den Bolschewiki zu führen. Bei seinem letzten Unternehmen jedoch, bei dem Versuch sich in den Westen abzusetzen, blieb er auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs verwundet liegen. Dort haben sie ihn auch abgeholt. Er und ein weiterer Widerstandskämpfer, Zbyňek Janata, wurden später in Böhmen hingerichtet.
Eine Geschichte, die nicht vergeht
Pivín ist ein Dorf, das man in zehn Minuten zu Fuß erkunden kann. Es gibt ungefähr zweihundert Häuser, eine grüne Dorfmitte mit Kirche und einen Friedhof hinter dem Dorf. Felder erstrecken sich ringsum. Hier ist es ruhig. Ein Auto fährt ein paar Mal am Tag vorbei. Hier gibt es drei Kneipen. Jiří Vrba, ein Altersgenosse und Jugendfreund von Radslav Švéda, geht auch gerne zu den Čvachts. Sein Vater Karel Vrba war in den fünfziger Jahren als Kulak inhaftiert. Jiří erinnert sich: „Weder er, noch ich hatten Vater zu Hause, also spielten wir oft zusammen. Aber nur meiner kam bald zurück. Da war ich mit Radek schon lange befreundet“. Sein Vater, Karel Vrba ist der Leiter des örtlichen Laientheaters. Ein paar Dutzend Leute veranstalten in Pivín Tanzpartys und Maskeradenumzüge und pflegen alte Bräuche. Aber jetzt im Herbst werden hier die besten Zwetschken zu Schnaps gebrannt, rühmt sich Ortsvorsteher Jan Vrána. Als er die Frage hört, ob die Leute wüssten, wer Václav Švéda war und ob sie seine Geschichte kennen, sagt er, dass er nicht aus der Gegend stammt. Und der Typ, der in Jagdjacke am nächsten Kneipentisch sitzt, schaut sich in diesem Moment wie aus Gewohnheit um. „Das weiß hier jeder“, sagt er. „Das ist nicht vergangen“. Und er hat Recht. Mit einer Rache versuchte das siegreiche Regime die rebellische Familie der Švédas zu erdrücken und das kann nicht vergessen werden.
Ein graues Haus
Das Familienhaus der Švédas unterscheidet sich nicht von den anderen. Es steht schön in einer Reihe der Landstraße entlang. Ein graues, zweistöckiges, unauffälliges Gebäude. Es ist das Haus, dessen Tür die Gestapo und auch die tschechoslowakische Staatssicherheit (StB) aufbrachen. Hier lebten Václav Švéda, seine Eltern, zwei jüngere Brüder, Frau und Kinder.
„Als ich nach Hause kam, war alles still“, erinnert sich Václavs Tochter Lída an einen grauenhaften Herbsttag der 1950er Jahre. Sie war sieben und in der 1. Klasse. „Bis dahin waren wir immer mitten im Leben. Es gab Besucher, wir waren nie allein. Jetzt aber war gar keiner mehr da. Weder die Mutter, noch der Opa, kein Onkel. Die Staatssicherheit nahm sie alle mit. Nur mein vierjähriger Bruder lag in der Küche auf dem Boden und weinte, und unsere Oma saß am Tisch und starrte vor sich hin."
Die nächsten zehn Jahre lebten beide Kinder bei ihrer Großmutter Hedvika Švédová. Ihr verhafteter Ehemann František war gerade sechsundsechzig Jahre alt geworden. Der alte Legionär kämpfte mit den Bolschewiki in Russland, und als er Jahre später nach Böhmen zurückkehrte, wusste er alles über sie. Der Einfluss von František Švéda sowie die Erinnerung an einen der berühmtesten Anti-Nazi-Kämpfer, General Mašín, standen zweifellos für den tief verwurzelten Widerstand seiner Söhne und Freunde gegen den kommunistischen Totalitarismus. Allerdings bekam der alte Mann vor Gericht die Rechnung dafür: Fünfzehn Jahre sollte er im Knast sitzen. Er verbüßte nicht die gesamte Strafe, Anfang der 1960er Jahre durfte er als kranker alter Mann zu Hause sterben.
Einer, der alles über die Kommunisten wusste, und diejenigen, die es auch schon gelernt haben. (Lída und Radslav Švéda mit Großeltern Hedvika und František Švéda)
Die Razzia vom Herbst 1953 ist dem nächsten Nachbarn und Freund der beiden Kinder, dem Metzger Jaromír Hložek, noch gut in Erinnerung: „Als die Gestapo hier nach Václav Švéda suchte, ließ sie das Auto außerhalb des Dorfes stehen und schlich sich an die Häuser heran. Die kommunistische Staatssicherheit jedoch hat Theater gespielt! In schwarzen Tatrapláns [3] kamen sie an, schwenkten Maschinengewehre und erschreckten die Menschen. Nach dieser Verhaftung hatten alle Angst. Keiner wagte vors Haus zu treten“.
Verhaftungen, Prozesse und Wahlurnen
Ende November 1953 fand in und um Pivín, aber auch in Praha, Poděbrady (Podiebrad), Karlovy Vary (Karlsbad), Kolín (Kolin, früher auch Köln) und Lošany eine groß angelegte Verhaftungsaktion statt, die zur Festnahme der im Lande gebliebenen Mitglieder der Widerstandsgruppe der Mašín-Brüder und Verwandten führte. Etwa einen Monat zuvor wurden Janata und Švéda, die in Deutschland festgenommen wurden, zum ersten Mal verhört. Der Mašín-Forscher Jan Němeček vom Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik liefert aus deutschen Archiven drastische Details ans Tageslicht: Der Švéda wurde verwundet und am Tag der Festnahme noch blutend verhört. Das Verhör wurde die ganze Nacht fortgesetzt. Um den nächsten Mittag folgte die nächste Vernehmung, die bis zum Abend andauerte. Später wurden Švéda und Janata an die Tschechoslowakei ausgeliefert.
In dem Monsterprozess, der im Januar 1955 stattfand, wurden vom Obersten Gericht in Prag insgesamt siebzehn Personen verurteilt und drei Todesurteile ausgesprochen. Das Regime konnte nicht zugeben, seinen Krieg gegen eine Handvoll bewaffneter Jungen, von denen sich nur zwei regelmäßig rasierten, verloren zu haben. Kurzerhand wurde Ctibor Novák, der Onkel der Mašín-Brüder, zum geistigen Führer der Gruppe erklärt. Im gleichen Prozess wurden auch Zbyněk Janata und Václav Švéda - wegen Sabotage, Raub, Mord und Brandstiftung - zum Tode verurteilt. Zur Warnung wurden die Strafen wie während der deutschen Besatzung im Rundfunk und in der Presse veröffentlicht. Die Urnen mit der Asche der Verstorbenen wurden den Familien nicht übergeben, sondern vernichtet, damit Gräber nicht zu Wallfahrtsorten des Widerstands werden.
Ebenso sorgten die Kommunisten dafür, dass das Schicksal der Familien der Aufständischen als abschreckendes Beispiel fungierte. Ein Jahr nach dem Prozess starb die Mutter der Brüder Mašín, Zdena, im Gefängnis. Das Regime bestattete sie heimlich in einem nicht gekennzeichneten Massengrab seiner politischen Gegner auf dem Friedhof im Prager Stadtteil Ďáblice. Ludmila, die Ehefrau des verurteilten Václav Švéda bekam achtzehn Jahre, sein Vater František Švéda fünfzehn, seine beiden Brüder je zwanzig. Der Waffenschmied der Gruppe Vladimír Hradec, sein Vater, seine Mutter und sein Bruder verbrachten alle über zehn Jahre in Gefängnissen. Die Kommunisten versuchten, die rebellischen Familien zu entwurzeln und zu zerstören.
Es wird in Ordnung sein
Vratislav Švéda, der jüngere Bruder des hingerichteten Václav, fährt oft nach Pivín zu den Freunden und Verwandten, die er hier noch hat. Er selbst, jedoch, lebt mit seiner Frau in Havířov. Vratislav ist in jeder Hinsicht ein harter Kerl. Sein Leben war geprägt vom Widerstand, elf Jahre Gefängnis, danach viele unter Tage im Bergwerk. In dieser Arbeit musste er viele Unfälle überstehen. Ein heller Siebzigjähriger, der freundlich und ruhig über seine persönliche Geschichte spricht und jeden willkommen heißt, der sich für das Schicksal seines Bruders interessiert. Die kleine Wohnung ist mit Büchern vollgestopft und mit Dutzenden von Bonsai-Bäumen. Ja, Vratislav Švéda interessiert sich vor allem für Literatur und Blumen, aber er ist auch Vorsitzender des Bundes der politischen Gefangenen in Karviná (Karwin).
Seinen Bruder Václav sah er zum letzten Mal nach der Verhängung des Todesurteils im Jahr 1955. Sie standen eine Weile zusammen im Gerichtskorridor. Ich fragte: „Vašek, was wird passieren?“ (die Grundform von „Vašek“ ist Václav). „Bruder, mach dir keine Sorgen, es wird alles gut!“ antwortete er. „Aber er hat mich nur beruhigen wollen“, erinnert sich Vratislav. Sein Bruder wurde im Mai hingerichtet.
Vratislav wurde verurteilt, weil er auf Wunsch seines Bruders Gewehre und Pistolen versteckt hatte. Die Teilnahme am bewaffneten Widerstand gegen die Kommunisten, die er keineswegs verhehlte, brachte ihm Respekt bei seinen Mithäftlingen ein und offenbar auch die zum Überleben notwendige innere Sicherheit. „Ich habe im Gegensatz zu vielen anderen gewusst, wofür ich verhaftet wurde“, spielt Vratislav auf die damals übliche Praxis völlig inszenierter Prozesse an.
Vratislav wurde zusammen mit den anderen festgenommen, nachdem es bei seinem Bruder Václav und bei Janata mit einer Verhörfolter los ging. In den 1950er Jahren waren Folter und Drogenverabreichung an der Tagesordnung. Auch der Historiker Jan Němeček teilt mit anderen Forschern die Meinung, dass die Festnahme auf der Grundlage der Aussagen von Janata und Švéda vorbereitet wurde. Aber Vratislav Švéda hat seine eigene Meinung: „Vašek war abgehärtet. Auf ihn war Verlass und er würde niemals jemanden aus der Familie verraten, nicht einmal, wenn sie ihn bedrohten“. Laut Vratislav wusste die Staatssicherheit mehr, als Václav sagen konnte.
Er versteckte die Waffen, kurz bevor die Mitglieder der Gruppe aus dem Land flohen, und Václav wusste nicht, wohin. Ansonsten nahm Vratislav nicht an den Aktionen der Gruppe teil, aber sein Bruder weihte ihn in alles ein: „Mein Bruder und ich gingen zum Beispiel auf den Hof, um uns zu unterhalten, während die Frauen kochten oder so. Wir beide waren damals verheiratet. Über die anderen hat er vielleicht gedacht, dass sie zu jung seien“. Vratislav hatte schon eine dreijährige Tochter und eine weitere war unterwegs. Im letzten Jahr seiner Inhaftierung ließ sich seine Frau von ihm scheiden und zog weg. Sie wünschte keinen Umgang mit ihm. Schließlich würde das Etikett eines politischen Gefangenen das Leben der Mädchen ruinieren. Vratislav bestand nicht darauf. Deshalb sah er seine Kinder erst vierzig Jahre später wieder.
Jemand hat zugesehen
Vratislav hält den Tag, an dem er die Waffen versteckte, für entscheidend. Er ist überzeugt, dass ihm jemand gefolgt ist. Er vergrub die Pistolen und Gewehre auf einem Feld in der Nähe von Pivín. Und er spürte, dass ihn jemand beobachtete. Daran zweifelt er auch heute nicht. „Aber ich konnte nicht zurück“, sagt er. „Ich beendete die Arbeit und ließ die Waffen dort“.
Am 25. November 1953 kam der Sekretär des Nationalkomitees in Pivín zu Vratislav und bat ihn, wegen einer Kleinigkeit im Kataster mit ihm ins Büro zu gehen. Vratislav lag mit Fieber danieder, aber auf eine höfliche Bitte hin nickte er und ging. Gleich an der Tür stürzten sich Staatssicherheitsleute auf ihn und verdrehten ihm die Hände, bis er, wie er sagt, vor Schmerzen urinierte. Und dann sagten sie ihm, sie würden zu diesem Feld gehen und die Waffen holen. Sie wussten wo. „Also gingen wir“, fügt er hinzu. Sein Vater, sein Bruder Zdeněk, seine Schwägerin Lída, und andere wurden eine Stunde später festgenommen.
Heute ist Vratislav vielleicht der Einzige aus dem antikommunistischen Widerstand, der es wagt, die Aktivitäten der legendären Gruppe aus rein sachlichen Gründen zu kritisieren. Für den Weg wären sie nicht gut vorbereitet. Sie hatten keine Nahrung und mussten dafür Risiken eingehen. Sie hatten nicht die richtige Kleidung, und das kostete sie viel Energie. Keine Medikamente, Verbände, nichts, um Verletzte zu versorgen. Und sie hatten nicht genug Munition. Vratislav hält den jungen Kämpfern Anfängerfehler vor. „Heute ist es leicht zu kritisieren. Ich hatte viel Zeit, darüber nachzudenken“, lächelt er.
Er hat einen grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Durchführung der Aktion Strohstapel, dem letzten Sabotageakt der Gruppe in Böhmen, an dem sein Bruder Václav Švéda den Löwenanteil hatte. Vratislav erinnert sich, dass Radek Mašín, als er im ruhigen Pivín ankam, viel Aufmerksamkeit erregte. Im Dorf, in dem ein paar Mal am Tag ein Fahrrad auftauchte, fuhr er auf einem leistungsstarken Jawa 500 vor. Der Lärm muss ihm gefallen haben. Das Dorf wurde wegen der ungewöhnlichen Maschine, die damals fast nur die Polizei und die Staatssicherheit im Einsatz hatten, auf den Kopf gestellt, und die Nachbarn kamen, um diese Jawa und natürlich ihren Fahrer zu sehen. „Es ist klar, dass es unter ihnen Spitzel gab“, sagt Vratislav. Die gab es damals überall. Und am Morgen nach der Nacht, in der sie 17 Strohstapel oder -Schober in Brand setzten und Radek einen Polizei-Helfer erschoss, verließ er Pivín wieder auf seinem rumpelnden Motorrad.
„Ich vermute, wer mich damals verpfiffen hat. Aber ich habe keine Beweise, also werde ich keine Namen nennen. Diese Leute sind schon vor langer Zeit aus dem Dorf weggezogen“, sagt Vratislav. Er spricht mit Respekt von seinem hingerichteten Bruder: „Er war mein Vorbild“. Die Richtigkeit seiner einstigen Entscheidung, sich dem Widerstand anzuschließen, hat Vratislav nie angezweifelt: „Die Kommunisten erklärten den Klassenkampf. Wenn du kämpfst, kämpfe! Wir wussten, dass wir ein Risiko eingehen. Und es gab Opfer auf beiden Seiten. Mein ganzes Leben lang dachte ich, was mein Bruder getan hat, war richtig“.
Und welche meinen Sie?
Unweit von Pivín liegt das Dorf Mořice. Rund herum die gleiche Haná-Ebene. Die Felder erstrecken sich bis zum Horizont. Mais pfeift im Wind. Unmittelbar vor dem Dorf an der Straße nach Kroměříž befindet sich auf dem Feld eine Brücke, unter der ein Bach hindurchfließt. Damals, in einer September-Nacht, warfen Radek Mašín und Václav Švéda die Zündschnur, die sie noch in den Taschen hatten, in den Bach. Hier fahren nur wenige Autos, manchmal fährt ein Radfahrer vorbei. Gut möglich, dass es hier vor zweiundfünfzig Jahren genauso aussah.
Frau Marie Šrámková war damals zwanzig Jahre alt. Jahrzehntelang radelt sie über diese Brücke. Auf die Frage, ob sie sich an die brennenden Strohstapel und -Schober erinnere, hält sie sofort an und steigt von ihrem Fahrrad ab. „Wir standen im Dorf. Die Nacht wurde von Feuer erhellt. Es war klar, dass es sich um Sabotage handelte und dass die Brände die Genossenschaft beschädigen würden. Die landwirtschaftliche Genossenschaft, in die die stolzen Bauern nur unter Zwang eintraten. Die Menschen beteten, dass niemand erwischt würde. Ich war ein Mitglied von Sokol [4]. Um unsere Turnleiterin loszuwerden, sperrten sie sie für fünfzehn Jahre ein. Wir konnten nicht anders, als die Kommunisten zu hassen“. Frau Šrámková wohnt immer noch in Dlouhá Ves, das nicht weit entfernt ist. Den Namen Švéda kennt sie nicht, und auf die Frage, ob sie sich noch an die großen Verhaftungen in den 1950er-Jahren erinnere, antwortet sie: „Und welche? Hier wurden damals viele Verhaftungen vorgenommen.“
Herr Vladimír Mašek, der in diesem Jahr siebenundsiebzig wird, fährt kurz nach Frau Šrámková über die Brücke: "Mašíns? Der Švéda von Pivín? Schädlinge und Abenteurer! Sie haben das Stroh verbrannt! Sie haben Menschen und Tiere geschändet, es gab keine Einstreu für das Vieh, es fehlte an Futter, und dann haben die Kommunisten Stroh von anderswo holen lassen, und die Menschen mussten es ihnen noch danken!" Herr Mašek stammt wie Frau Šrámková aus der Gegend. Er war eine Weile in der Genossenschaft, dann bei der Bahn und so weiter. Kommunisten hat er nie geliebt. Aber Widerstand gegen sie schien ihm unmöglich. Die Widerstandskämpfer waren für ihn Jungen, die mit Pistolen spielten und rechtzeitig davonkamen. Auf die Frage, ob die Sabotage gegen die Kommunisten sinnlos gewesen sei, wedelt er nur verächtlich mit der Hand und tritt in die Pedale.
Das Leben und die Zeit von Václav Švéda
Wie war Václav Švéda? Wie die anderen Mitglieder der Gruppe wuchs er während des Krieges auf, als Gefahr, Tod und Waffen zum Alltag gehörten. Genauer gesagt, ein Teil des Lebens derer, die es wagten, den Nazi-Besatzern die Stirn zu bieten. Und Václav Švéda war einer von ihnen. Vratislav erinnert sich noch an ein wichtiges nächtliches Gespräch. Der 18-jährige Václav vertraute seinem sechs Jahre jüngeren Bruder an, dass er beschlossen habe, aus dem Protektorat zu fliehen, um sich der englischen Armee anzuschließen, und befahl ihm, sich in seiner Abwesenheit um alles zu Hause zu kümmern. Aber Václav wurde an der Grenze gefasst und in die berühmte Folterkammer eingeliefert, die die Gestapo in Brünns Kaunitz-Wohnheim eingerichtet hat. Ihm gelang die Flucht aus dem Gerichtsgebäude: Er öffnete ein Fenster im fünften Stock, kletterte über einen schmalen Sims in ein Nachbargebäude und entkam. Diesmal schaffte er es bis in die Schweiz, aber die Neutralen lieferten ihn an die Nazis aus. Für ihn wurde die Todesstrafe gefordert. Er verbrachte drei Jahre im Gefängnis in Marienburg. Vratislav erinnert sich an seine Rückkehr nach dem Krieg: Er verlor viel Gewicht, er konnte kaum laufen, aber er trug eine Pistole und Boxhandschuhe als Kriegsbeute bei sich.
Im Juni 1946 heiratete Václav seine alte Liebe Ludmila Kasparides, eine Verwandte der Familie Mašín. Nach der Hochzeit zog er auf ihren Hof in Lošany bei Kolín, der an den Hof Mašín angrenzte. Mit Erstaunen und dann mit Abscheu sah er zu, wie Kommunisten überall um die Macht kämpften und mit politischen Gegnern abrechneten. Er hielt es für selbstverständlich, mit Mašíns in den Kampf zu ziehen. Um die Wende der 1940er und 1950er Jahre gab es in mehreren Orten Böhmens und Mährens solche entschlossenen Kämpfer, die sich Widerstandsgruppen angeschlossen haben.
Laut dem Historiker Petr Blažek vom Institut für das Studium totalitärer Regime war es ziemlich außergewöhnlich, dass es der Staatssicherheit nicht gelang, einen Whistleblower in die Gruppe der Mašín-Brüder einzuschleusen, der alles enthüllt hätte. Dank des Zusammenhalts der Gruppenmitglieder, ihrer Jugend und damit Unscheinbarkeit und ihrer rechtzeitigen Flucht landeten nicht alle Mitglieder am Galgen oder in den Lagern. Sie betrachteten ihren Grenzübertritt nicht einmal als Flucht und wollten bald zurückkehren, am liebsten als Soldaten der Befreiungsarmee. Sie hatten lebhafte Erinnerungen an tschechoslowakische Patrioten, die in den Uniformen ausländischer Armeen gegen die Nazis kämpften.
Nach der Geschichte von Ctirad und Josef Mašín, aufgezeichnet von Ota Rambousek und ebenso nach Jan Novák, war Václav Švéda von Anfang an eine Säule der ganzen Gruppe. Zusammen mit den Mašín Brüdern stahl er Waffen, raubte ein Geldtransport, brach in eine Mine ein, aus der sie einen Doppelzentner Sprengstoff mitnahmen. „Wir stiegen etwa achtzig Meter ab“, erinnert sich Vladimír Hradec in seiner kleinen Wohnung in einer Wohnsiedlung in Mělník (Melnik). „Wir traten die Lagertür auf und kämpften uns mit Sprengstoffkisten zurück. Ich kannte Švéda bis dahin nicht. Ich kann nur sagen, dass er stärker und schneller war. Aber das waren wir alle“, lacht der kleine alte Mann, der wegen seines Grauen Stars eine schwarze Brille trägt. Er erhielt zwanzig Jahre für seine Teilnahme am Widerstand. Heute ist er Kirchenorganist.
1952 wurde Václav Švéda, wie Mašín und Tausende andere, als Großgrundbesitzer, Bourgeois und Kulaks aus seinem Hof vertrieben. Mit seiner Familie zog er zurück in seine Heimatstadt Pivín, dreihundert Kilometer entfernt. Nicht einmal etwas zum Schlafen hatten sie dort, wie sich seine Tochter Lída an den Umzug bzw. die Geschichte darüber erinnert. Dann arbeitete er als Schweinemäster und Sägewerksarbeiter; immer wieder jedoch verlor er seine Stelle. Staatssicherheitsleute kamen oft nach Pivín, um sich nach ihm zu erkundigen. Hänseleien und Mobbing nahmen kein Ende. Zu dieser Zeit war er schon lange in illegale Aktivitäten verwickelt. Zur Familiengeschichte gehört auch ein nächtliches Gespräch, das die kleine Lída einmal belauscht hat. „Lass es, Vašek, du hast eine Familie“, hätte ihre Mutter sagen sollen. Der Vater soll geantwortet haben: „Ich kann es nicht mehr lassen. Ich stehe bis zu den Ohren darin.“
Verbindungsmann Paumer staunt nicht wenig
Ein anderes Mitglied der Mašín-Gruppe, Milan Paumer, kannte Václav Švéda seit fünf Monaten. Ctirad Mašín verteilte die Aufgaben in der Gruppe und sorgte konspirativ dafür, dass sich die Widerstandskämpfer nicht kannten, es sei denn, es war notwendig. Der Švéda nahm nicht an den Überfällen auf Polizei-Stationen in Čelákovice (Tschelakowitz) und Chlumec nad Cidlinou (Chlumetz an der Zidlina) teil, bei denen zwei Polizeibeamten getötet wurden. In beiden Fällen nahmen die Mašín-Brüder den zuverlässigen Paumer und einmal Janata mit. „Wir waren wie Soldaten. Als die Mašíns es gesagt haben, haben wir zugeschlagen“, sagt Paumer, der es schließlich mit den beiden Brüdern nach West-Berlin geschafft hat. Er erinnert sich noch an den Abend, als der fast zehn Jahre ältere Švéda ihn schockte: „Wir haben die Ereignisse mit Vašek besprochen. Wir wollten damals einen Uranzug sprengen, den Präsidenten ermorden, einen mit Polizisten voll besetzten Bus unter Beschuss nehmen. Wir hatten einfach viel vor“, lacht der weißhaarige Paumer. Doch dann wird er ernst. „Ich habe Vašek mit dem Motorrad nach Hause gebracht. Es war bereits Abend, als wir bei ihrem Haus ankamen. Eine schöne junge Dame öffnete die Tür. Sie trug den kleinen Radek und führte Lidka an der Hand. Erst als Vašek sie alle küsste, wurde mir klar, dass sie zu ihm gehörten. Dann verabschiedeten wir uns und ich sagte: Vašek, verdammt, hast du Kinder? Bist' verrückt? Warum tust du das? - 'Ach, Alter, ich tue es der Kinder wegen', erwiderte er".
Mama, die nicht nach Hause konnte
Ludmila Švédová, die junge Dame, deren Schönheit den Widerstandskämpfer Paumer beeindruckte, kehrte 1963 nach zehn Jahren als Kriminelle nach Pivín zurück. Sie konnte nur als Putzfrau arbeiten. Sie begann in der Fabrik in Prostějov. Sie war erst vierzig. Die Idee, dass sie Václavs Bruder Zdeňek heiraten würde, der ebenfalls aus einem Straflager nach Pivín zurückgekehrt war, hing in der Luft. Aber er starb an einem Hirntumor. „Ich war damals ein Teenager“, erinnert sich Radslav Švéda an die Rückkehr der Inhaftierten. „Und Mama war mir fremd. Ich verließ mein Zuhause, um eine Lehre anzufangen“.
Und jetzt schweigt der Mann, dem die kommunistische Justizmaschinerie die Eltern weggenommen hat. Er hasst es, über seine Beziehung zu seiner Mutter zu sprechen. Er war längst aus dem grauen Familienhaus ausgezogen, in dem sie einst zusammenlebten und wo die Spitzel seine Eltern besuchten. Jetzt hat er nicht nur ein etabliertes Unternehmen in Pivín, sondern auch ein großes eigenes Haus.
Aus seiner Kindheit erinnert er sich am meisten an das zermürbende Reisen. „Wir durften meine Mutter einmal alle drei Monate besuchen. Aber wir gingen auch zu Onkel Vráťa (Grundform Vratislav), Onkel Zdeněk und dem Opa. Also gingen wir fast jeden Monat zu irgendeinem Gefängnis. Der Besuch dauerte eine Stunde, aber oft warteten wir drei Stunden, bis wir den unsrigen gegenüberstanden. Unausgeschlafen, hungrig, ausgekühlt. Aber wenigstens konnten die unseren sehen, dass wir wachsen. Und wir wussten, dass sie am Leben waren.“
Auch seine Schwester Lída erinnert sich an die Fahrten zu den Eingesperrten und an die Massen von Angehörigen, die vor den Gefängnistoren warteten: „Die Leute redeten nicht miteinander, die Aufseher waren mürrisch. Mama hat oft geweint. Und die anderen sagten, dass Mama sowieso nicht nach Hause wollte. Dass sie nicht zu ihren Kindern zurück will. Wir haben das nicht verstanden, es war schrecklich“. Die kleine Lída verstand das Spiel der Staatssicherheits-Männer erst später: Ihre Mutter weigerte sich, gegen Bewährung Spitzel zu werden. Die Kommunisten hielten sie zehn Jahre im Knast, bis ihr Amnestie gewährt wurde.
Tod im Untergrund
„Ich konnte nicht glauben, dass mein Vater getötet wurde“, sagt Radslav. „Ich habe mich als Kind einfach geweigert, es anzunehmen, ich dachte, er wäre irgendwo da. Schließlich schrieben wir ihm weiter Briefe, Kinderwünsche in Briefen ausgedrückt. Mein Vater, ich bete, dass du wieder zu uns zurückkommst, Küsse und Umarmungen von Lidunka und Radoušek“ (beide Kosenamen: Lidunka niedlicher, als Lída, Grundform Ludmila und der des Bruders niedlicher, als Radek, Grundform Radslav). Ihre Wünsche blieben unerfüllt und möglicherweise wurden sie nicht einmal dem Adressaten zugestellt. Ihr Vater, Václav Švéda wurde am 2. Mai 1955 in Prag im Pankrác-Gefängnis hingerichtet.
Damals wurden Hinrichtungen auf zwei Arten durchgeführt, erklärt der Historiker Petr Blažek. Früh morgens, während das Gefängnis noch schlief, mit einem hängenden Seil oder nachmittags auf dem Hinrichtungstisch. Gehängt wurde wie im Mittelalter, mit der Schlinge wurden die Gehängten erdrosselt. Auf einem Tisch im Untergrund des Gefängnisses wurde der Sträfling mit dem Kopf an einem Brett und dem Körper an dem anderen festgebunden. Durch ein plötzliches Auseinanderreißen der Platten wurde das Genick des Hingerichteten gebrochen. Václav Švéda starb nach den Aufzeichnungen des Henkers von Pankrác um 17:33 Uhr.
Papa wurde getötet, Mama wurde eingesperrt, alles wurde erledigt
Im Dorf wurden die Kinder von allen geliebt. Jaromír Hložek, der engste Nachbar der Švédas, betont, dass sie nie unter Armut gelitten haben. Er kann sich noch daran erinnern, wie die Staatssicherheit die Kinder als Nachkommen des Volksfeindes bezeichnete. Es sollte eine Warnung sein, damit sich die Leute um die Kinder nicht kümmerten, aber niemand im Dorf hielt sich daran.
Radek glaubt, dass die Dorfbewohner oft etwas netter zu ihm waren, als zu den anderen Jungen. Ab und zu bekam er Süßigkeiten, jemand tätschelte ihm den Kopf, Jungs kauften ihm Limonade und Waffeln in der Kneipe, die Lehrer halfen bereitwillig bei allem, und niemand verstieß ihn jemals. Lída erinnert sich, dass jeder, der in die Schule kam, sofort fragte: „Welche ist die Švédová?" Und sie erkannte, dass sie als Tochter eines hingerichteten Volksfeindes unter Beobachtung leben würde. Da sagte sie sich, dass sie jedem beibringen würde, dass eine Švédová, zu sein bedeutet, die Beste zu sein. Kurz darauf versuchte ein Junge sie wegen ihres erhängten Vaters zu verhöhnen. „Wir haben uns geprügelt, bis von uns beiden Blut tropfte“, erinnert sie sich. Dann lachte keiner mehr über sie. Sie gewann Schulwettbewerbe, hatte lauter Einsen und war eine angesehene Athletin. „Eishockey hat mir am besten gefallen“, sagt sie heute. Jedoch durfte sie von keiner höheren Schule aufgenommen werden und sie schließt die traurige Geschichte so: „Das ist mir nie gelungen“.
Damals sagte die Oma, dass sie bald sterben wird. Und Mama sollte erst zehn Jahre später zurückkommen. Ich musste mich um Radek und mich selbst kümmern. Mit sechzehn trat Lída als Arbeiterin in eine Fabrik ein. Bei der Weberei in Moravská Třebová (Mährisch-Trübau) blieb sie über vierzig Jahre lang. Sie ist verheiratet, hat zwei Töchter. Sie versucht es, sich nicht schlecht an ihre Kindheit ohne Mama und Papa zu erinnern. „Die Leute waren nett", sagt sie. Die Klassenlehrerin hat ihr ein wunderschönes Kleid geschneidert, jemand hat ihre Klassenfahrt bezahlt. Das Geld, das für die nicht endenden Reisen zu den Gefängnissen benötigt wurde, kriegte man irgendwie zusammen, und in der Küche hatte die Oma immer ausreichend Vorrat.
Nur einer ging mit der Pistole auf sie los
Der Friedhof von Pivín liegt, wie viele andere, auf einem Hang außerhalb des Dorfes. Ein gewöhnlicher Friedhof in einem gewöhnlichen mährischen Dorf. Birken und Büsche rund um den Friedhof und Felder dahinter. Es ist ein Wochentag. Kinder lassen Plastikdrachen am Hang steigen.
Aber ein Besucher, der sich über die Störung der ländlichen Idylle beschweren würde, würde falsch liegen. Rennen auf röhrenden Mofas sind Pivíns ganzer Stolz. Die Jungen fahren um die Wette und die ganze Nachbarschaft will dabei sein. So wird unser Rundgang über den Friedhof vom Heulen der Motoren begleitet. Jaromír Hložek, ein scharfsinniger Beobachter alter Zeiten, führt uns. „Kinder, deren beide Eltern eingesperrt waren, gab es häufig in den damaligen Dörfern“, erklärt der Metzger, der Hedvika Švédová nach Aussage der Einheimischen im Laufe der Jahre immerhin einige Zentner Fleisch zugeschoben hat. „Die Nachbarn nahmen solch verwaiste Kinder auf, keines musste in ein Heim gehen. Schließlich wurden viele Leute eingesperrt. Die Mašíns kennen wir hier nicht, aber schau hier zum Beispiel“, er zeigt auf ein Grab. „Der Bauer František Janík wurde mit seinem Bruder eingesperrt. Hier wiederum liegt der würdige Herr Šoupal, er saß viele Jahre. Und Kája Vysloužil (Grundform Karel) war zwölf Jahre lang auf Uran. Und sie haben Vojta Galíček (Grundform Vojtěch) wegen Flugblättern verhaftet“, Herr Hložek zählt an seinen Fingern und listet seine anderen Bekannten und Freunde auf. „Es gab viele Großbauern in der Gegend, die das Regime vernichten wollte“, erinnert er sich an die Zeiten, als die Kommunisten den Bauern den Besitz wegnahmen und sie in Genossenschaften zwangen. In jedem Dorf seien zwei ausgesucht, gedemütigt, bedroht und eingeschüchtert oder falsch beschuldigt worden. „Einer wurde eingesperrt - dann seien die anderen der Genossenschaft beigetreten“, sagt der stämmige Achtzigjährige. „Nur Vašek Švéda nahm eine Pistole und ging auf sie los. Also töteten sie ihn.“
Helden
An der Friedhofsmauer von Pivín befindet sich eine Glasvitrine mit Urnen. Darunter ist eine mit der Aufschrift Václav Švéda mit dem Foto eines jungen, eleganten Mannes im Anzug. Das Todesdatum trägt die Inschrift: Hingerichtet. Sohn Radslav erklärt: „Papa ist nicht in der Urne. Lída und ich sammelten Erde aus dem Massengrab am Friedhof Ďáblice in Prag. Dort könnte die Asche der Hingerichteten ausgeschüttet worden sein.“
Lída Zounarová, gebürtige Švédová, erfuhr erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs von den letzten Tagen ihres Vaters in Freiheit. 1990 lud Josef Mašín sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Wien ein. Er wartete am Bahnhof auf sie und brachte sie zum Hotel. Sie setzten sich in die Lobby und Josef erzählte ihnen von ihrer gemeinsamen Flucht. Er beschrieb, wie sich fünf junge Männer im Herbst 1953 durch Deutschland kämpften und wie sie bei Waldow beschossen und umstellt wurden. Dort wurde Václav Švéda schwer verletzt. Die Kugel zerschmetterte einen Knochen in seinem Unterarm. Er blutete stark. Sie hatten nichts, um ihn zu behandeln. Eine Zeit lang habe er es versucht, aber konnte nicht weitermachen. Er forderte seine Kameraden auf, ohne ihn zu rennen. „Ich habe mit offenem Mund zugehört“, sagt Lída. Sie erinnert sich, dass Josefs Erzählung Stunden gedauert hat. Dann gingen alle wie in Trance zum Essen. Und dann setzten sie sich wieder hin und lauschten. Josef beschrieb den Hinterbliebenen die letzten Momente, als er mit seinem Bruder und dem Paumer mit ihrem Mann und Vater zusammen waren. Sie beschlossen, aus der Einkreisung auszubrechen. Es kam ihnen in den Sinn, dass sie Václav erschießen würden. Er hatte Schmerzen. Vielleicht hätten sie es tun sollen, sagt Lída. Aber sie konnten es nicht. Sie mochten ihn sehr. Sie konnten ihn nicht töten, also verabschiedeten sie sich von ihm. Schließlich küssten sie Václav auf die Stirn. Und sie gingen. Paumer nahm Václavs Pistole, weil er seine eigene verloren hatte.
Als Josef fertig war, gingen wir alle im nächtlichen Wien spazieren. Wir waren zum ersten Mal im Westen, erinnert sich Lída. Václavs Frau Ludmila starb wenige Monate nach ihrer Rückkehr aus Wien. „Natürlich denke ich immer an Mama und genauso an die Mutter der Mašíns sowie an unseren Opa, wie er mit verbundenen Augen die Gefängnistreppe hinauf und hinunter geführt wurde, bis er keine Luft mehr bekam. Ich denke an alle, die von Kommunisten eingesperrt wurden. Sie waren Helden. Die Männer, die zu den Waffen gegriffen haben und über die Grenze gegangen sind, die diesen einen harten Monat durchmachten. Als sie erwischt wurden, sind sie wie Soldaten gestorben. Mein Vater auch. Aber was ist mit all den gewöhnlichen anderen, mit denjenigen, die jahrelang in einem Lager waren und als sie krank nach Hause kamen, vom Hund erkannt nicht angebellt wurden? Draußen kümmert sich kaum einer. Niemand weiß von denen. Niemand kennt ihre Namen mehr.“
Erklärungen zum Text:
- [1] Haná, Hanna ist ein breites von Hügeln umrahmter fruchtbarer Landesteil, die Kornkammer Mährens mit Olomouc (Olmütz) als Zentrum.
- [2] Lída ist eine familiäre Form des Taufnamens Ludmila. Im Tschechischen kommt fast jeder Taufname in mehreren, manchmal mehr als fünf, Formen vor, die in verschiedenen Schattierungen Verniedlichung oder mal auch Vergröberung bedeuten. Oft tragen die Kinder den gleichen Namen, wie ihre Eltern, und dann wird er nur bei den Kleinen verniedlicht. In der Regel können oder dürfen diese Formen nur im Umgang mit nahestehenden oder anvertrauten Personen verwendet werden. Vašek beispielsweise ist eine Koseform von Václav, wobei es nicht angebracht wäre, mit Vašek einen fremden Václav anzusprechen. Mit dem Bekanntheitsgrad des Betroffenen in der Öffentlichkeit, hat die Verwendung nichts zu tun. In dieser Übersetzung wurden die Namensformen aus dem Original übernommen. Nur bei der der ersten Verwendung wurde dem Kosenamen die Grundform in Klammern angefügt.
- [3] Tatraplán war das erste Nachkriegsmodel des Fahrzeugherstellers Tatra mit Sitz im Mährischen Kopřivnice (Nesselsdorf). Es war die Karosse der kommunistischen Funktionäre und der Staatssicherheit, und es hat diese Leute nicht gestört, dass an der Entwicklung des Models wie dessen Vorgänger der Österreichisch-Deutsche Konstrukteur Hans Ledwinka mitgewirkt hat, dem sie vorgeworfen haben, im Protektorat fürs Reich gearbeitet zu haben, und den sie 1948 verhaftet haben. Er durfte in der Haft, die bis 1954 andauerte, konstruieren.
Übersetzung aus dem Tschechischen: Ondřej Křižan-Hasilík, 2022
Das Original in tschechischer Sprache ist in der Zeitschrift Respekt 48/2005 erschienen.
Die aktualisierte Version vom 02.05.2020 ist hier auffindbar
Der Autor Jáchym Topol ist 1962 in Prag in der Familie des Dramatikers und Shakespeare-Übersetzers Josef Topol geboren. Seit den späten 1970er Jahren war Topol Mitglied der literarischen und musikalischen Untergrund-Bewegung in Prag. Er konnte aus politischen Gründen nicht studieren. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Lagerarbeiter, Heizer, Kohlenträger. Er schrieb Texte für die zum Dissent zählende Rockband Psí vojáci, in der sein Bruder Filip mitgewirkt hat, und beteiligte sich seit 1980 an Samizdat-Editionen. 1985 gründete er das Underground-Magazin Revolver Revue. Seit 1989 arbeitete er als Journalist für verschiedene Zeitschriften, darunter für die von ihm gegründete politische Wochenschrift Respekt. 2009-11 war er Redakteur der traditionsreichen Tageszeitung Lidové noviny. Anschließend übernahm er die Stelle des Dramaturgen der Václav-Havel-Bibliothek. Er lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Prag. Acht Werke von Ihn sind ins Deutsche übersetzt worden, darunter sind fünf Romane, die im Verlag Suhrkamp erschienen sind.
Danksagungen von cardandcube:
- dem Autor Jáchym Topol für die Erlaubnis, die Übersetzung seines Textes zu veröffentlichen
- Frau Lída Zounarová und Herrn Radslav Švéda für die Erlaubnis, Fotos aus ihren Privatarchiven zu veröffentlichen